Deutschland Pass: Inhalte und Geschäftsmodelle für Media Services

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Neben der Infrastruktur gilt es auch die Inhalte und die dahinter liegenden Geschäftsmodelle für die Beyond Platforms Initiative zu entwickeln. Der Kern dieses Themenfelds ist ein attraktives inhaltliches Angebot zu ermöglichen und die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sich Zugänge, Anbieter und Inhalte entwickeln können. Schließlich muss es gelingen, dass sich Nutzer*innen aktiv für die Alternative entscheiden und ihre Zeit damit verbringen.

Das gewählte Geschäftsmodell bedingt viele andere Entscheidungen von Strategien, dem inhaltlichen Profil bis hin zur verwendeten Technologie. Es sind oftmals die Geschäftsmodelle, die Dinge ermöglichen oder erschweren. So ist es nicht verwunderlich, dass sich z.B. YouTube oder Facebook schwer tun premium Bewegtbildinhalte zu entwickeln, war ihr bisheriges Geschäftsmodell doch darauf ausgerichtet möglichst viele Partner mit möglichst vielen Werbetreibenden zusammen zu bringen und beide Seiten des Marktes zu skalieren. Ein besonderer Fokus auf das Geschäftsmodell ist also nicht nur aus inhaltlicher sondern auch aus strategischer Sicht notwendig.

Geschäftsmodell und Inhalte: Was gehört zum Deutschland Pass?

Im Kern geht es darum Antworten und Ansätze zu finden um Produzent*innen, Sender, weitere Inhalte-Anbieter und die passenden Partner für Infrastruktur und Zugang zusammen zu bringen. Dies gelingt indem ein Ökosystem entsteht in dem die folgenden Rahmenbedingungen geklärt sind:

  • Welches Geschäftsmodell wird verfolgt und welches Ziel verfolgen die gemeinsamen Aktivitäten? Woher kommt überhaupt das Geld?
  • Wie sieht Kooperation in diesem Ökosystem aus und auf welcher Basis findet sie statt?
  • Wie gelingt es ein inhaltliches Profil mit einer Breite und Tiefe sowie ausreichender Unterscheidbarkeit zu schaffen? Wie findet eine Vergütung von Produzent*innen und Rechteinhabern statt? Auf welcher Ebene wird konkurriert?
  • Wie werden alle beteiligten Parteien incentiviert am gemeinsamen Erfolg zu arbeiten, obwohl man auf bestimmten Ebenen mit anderen konkurriert?
  • Wie kann das Ökosystem offen und handlungsfähig gehalten werden? Wie kann es einerseits agieren und andererseits offen für Neues sein?

Diese und sicherlich weitere Fragen gilt es in diesem Themenfeld zu beantworten. Dabei gibt es einige Grundanforderungen an potentielle Lösungen, die diese beachten müssen.

Welche Anforderungen bestehen an eine Lösung?

Every media company wants a scaled D2C SVOD service – that’s basically a tautology. But most of the services being launched in 2019/2020 are being launched to solve an internal business need, not any unmet audience wants.

Matthew Ball

Sie löst ein klares Problem

Eine zentrale Anforderungen ist es eine klare Positionierung und damit einen Platz im Leben der Menschen zu finden. Nur wenn es gelingt für sie ein passendes Problem zu lösen, werden Menschen dies mit der Nutzung und entsprechenden Zeitbudgets honorieren. Nur weil Inhalte vorgehalten werden oder ein Unternehmen ein Archiv oder eine Marke hat, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass sich darüber eine ausreichende Nachfrage erzeugen lässt, die ein digitales Produkt oder gar eine Plattform zum Erfolg führt.

Sie verbindet unterschiedlichste (legacy) Geschäftsmodelle

Momentan gibt es bei den Anbietern von Inhalten in Deutschland eine große Heterogenität in den Geschäftsmodellen. Von kleinen bis großen Produzenten über werbefinanzierte Sender bis hin zu beitragsfinanzierten Anstalten gibt es unterschiedlichste Modelle im existierenden Ökosystem. Daraus gilt es ein Modell zu entwickeln, das für alle funktioniert und sie integriert.

Sie basiert nicht auf Werbung

Fundamental ist zudem eine Abkehr von Werbung, denn diese schafft vielfältigste Probleme. Nicht zuletzt sorgt sie dafür, dass oftmals die Interessen der Werbetreibenden (Tracking, Targeting, Attribution, …) über die Interessen der Menschen im Ökosystem gestellt werden (Privatsphäre, Datenschutz, …). Auch aus einer Produktsicht ist Werbung ein Hemmnis, da sie die Nutzung unterbricht, die Stickyness reduziert und so die Adaption erschwert. Hinzu kommt eine umfangreiche technische Komplexität und ein enormer Konkurrenzdruck von Seiten der großen Player Facebook und Google/YouTube.

Plus es ist nicht so, dass ohne Werbung zu wenig Geld im System ist. Schon heute bezahlen Menschen für Bewegtbildinhalte – auch in Deutschland. Nur sind die Beträge oftmals versteckt. Nimmt man die Umsätze aus Rundfunkbeiträgen, Kabelanschlussgebühren, HD+ und Heimkino zusammen ergibt sich eine Basis mit der weiter gearbeitet werden kann und die einer Alternative ausreichend Preisspielraum ermöglicht ohne für Mehrausgaben zu sorgen.

Welche Lösungsansätze sind denkbar?

That, though, suggests there is a platform alternative — that is, a company that succeeds by enabling its suppliers to differentiate and externalizing network effects to create a mutually beneficial ecosystem. That alternative is Shopify. What Shopify is doing is what platforms do best: act as an interface between two modularized pieces of a value chain.

Ben Thompson

Es gilt ein Ökosystem zu schaffen, das die verschiedenen Interessen der beteiligten Parteien auf ein gemeinsames Ziel vereint. In diesem Ökosystem sollte es nicht eine Plattform geben, sondern mehr ein verbindendes Element, das sich aus der Infrastruktur und dem darauf basierenden Geschäftsmodell ergibt. Shopify ist hierfür im Ecommerce ein schönes Beispiel. Während die Technologie und gewisse Partner (Logistik, Design, Marketing und Entwicklung) modularisiert wurden, erlaubt es Shopify den Händlern weiter ihren eigenen Zugang mit einer direkten Kundenbeziehung zu unterhalten und mit Amazon und Co. zu konkurrieren.

For years now I’ve been talking about why the real way to „break up“ big tech platforms is to push for a world of protocols, rather than platforms, which would push the power out to the ends of the network, rather than keeping them centralized under a single silo with a giant owner

Mike Masnick

Deutschland Pass oder Aggregation = 0

Ein ähnliches verbindendes Element wie Shopify könnte zum Beispiel der „Deutschland Pass“ sein, der verschiedenste Zugänge zu allen Inhalten, die Teil des Passes sind, ermöglicht basierend auf der gemeinsam definierten Infrastruktur und einer klar geregelten Vergütungslogik. Im Kern könnte dieser die folgenden vier Grundsätze umfassen:

  1. Freie Nutzer*innen: Beliebige Zugänge
  2. Freie Inhalte: Alles, überall
  3. Freie Daten: Portable Nutzungsdaten
  4. Freie Vergütung: Protokoll-Abrechnung

Freie Nutzer*innen: Beliebige Zugänge

Gerade die Akquise von Menschen und die Konvertierung derselben in zahlenden Kund*innen ist extrem aufwendig und kostspielig. Hier könnten verschiedenste Zugänge, die auf unterschiedlichste Zielgruppen und Bedürfnisse zugeschnitten sind helfen. So gelingt es tatsächliche Kund*innen Probleme zu lösen und nicht Unternehmensprobleme.

Daraus entstünde ein gesunder Wettbewerb der Zugänge (z.B. eine App für eine Art von Inhalt vs. eine App für eine etablierte Marke vs. eine Webseite für eine spezifische Zielgruppe, …), der aber immer dem Ganzen zugute kommt. Hinzu kommt: indem Nutzer*innen von einem Zugang zum nächsten einfach wechseln können und ihre Daten mitnehmen (siehe „freie Daten“), ist es nicht mehr notwendig sich gegenseitig Nutzer*innen abzuwerben. Sondern alle akquirieren entweder neue Kund*innen für den Deutschland Pass oder jagen diese den großen Plattformen ab.

Es könnten für die Akquise und für die Versorgung Prämien ausgelobt werden, die wiederum die Erstellung und den Betrieb der verschiedenen Zugänge finanzieren. So könnten nicht nur die etablierten Player einen Zugang anbieten sondern auch Neue. Alle diese Zugänge greifen auf die Module der Infrastruktur zurück und haben Zugriff auf das Verzeichnis an Inhalten, das sie bei Bedarf filtern können.

Freie Inhalte: Alles, überall

YouTube, Netflix und Co. ziehen einen großen Teil ihres Wertes aus der Aggregation. Indem sie sowohl Nachfrage als auch Angebot aggregieren haben sie auf der einen Seite enorme Skaleneffekte und auf der anderen Seite große Verhandlungsmacht – mehr Budget und mehr Reichweite als alle anderen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist, wenn sich die anderen Anbieter nicht noch zusätzlich fragmentieren und versuchen über Features voneinander zu differenzieren, denn es geht mehr darum eine attraktive Alternative neben den Plattformen zu positionieren, denn mit den anderen kleineren Anbietern zu konkurrieren.

Ein erster Schritt in diese Richtung wäre es ein Verzeichnis aller Inhalte des Deutschland Passes zu erstellen auf das die (authentifizierten) Nutzer*innen via ihres präferierten Zugangs zugreifen können. Damit wird der Wert der Aggregation auf null gesenkt, denn alle – außer den Plattformen – haben den gleichen Katalog an Inhalten. Eine Unterscheidung im Katalog der Inhalte gibt es dann nur noch, aufgrund einer bewussten Produktentscheidung und nicht aus fremdbestimmten Limitationen. Alle beteiligten Zugänge können prinzipiell auf alle Inhalte zugreifen. So können Nutzer*innen ihren präferierten Zugang wählen ohne auf Inhalte verzichten zu müssen und einzelne Inhalte konkurrieren auf Basis ihrer Machart und nicht auf Basis von Produktfeatures. Alles, überall führt zudem dazu, dass sich der Wert des Deutschland Passes nachhaltiger und einfacher kommunizieren lässt.

Freie Daten: Portable Nutzungsdaten

Portable Nutzungsdaten bieten einen enormen Mehrwert für Menschen, sie können ihre Daten von einem Zugangs-Anbieter zum nächsten mitnehmen und nahtlos auf ihrer Merkliste weitersehen, wenn ihnen eher nach einer roten statt einer blauen App ist. Auch für Inhalteanbieter ergibt sich ein Mehrwert, denn über alle Inhalte hinweg sehen sie welche Inhalte nachgefragt werden und welche Nutzungstrends sich ergeben, was eine deutlich größere Transparenz und Vergleichbarkeit erlaubt und letztlich zu einer passgenauen Positionierung des inhaltlichen Angebots führt.

Freie Vergütung: Protokoll-Abrechnung

Natürlich funktioniert der Deutschland Pass nur, wenn verschiedenste Anbieter darüber ihre Inhalte bereitstellen. Der Service muss also eine Vergütung sicherstellen. Dazu bedarf es einer fixen und einer flexiblen Komponente: fix, weil ein Inhalt per se einen Optionswert für das Gesamtangebot hat, auch wenn er nicht genutzt wird. Flexibel, weil es am Ende natürlich darum geht über den Deutschland Pass möglichst viel Nutzungszeit zu vereinen um so Relevanz gegenüber gesellschaftlichen Stakeholdern nachzuweisen und konkurrenzfähig gegenüber den Plattformen zu sein. Zudem gewährleistet eine flexible Komponente, dass die Ziele übereinstimmen.

Der breite Zugang zu allen qualifizierten Inhalten erlaubt dem Deutschland Pass eine sehr viel flexiblere Inhalteverwertung. So könnten beispielsweise die Archive zugänglich gemacht werden und Budget darauf geschiftet, werden, wenn diese ein entsprechende Nutzung nachweisen. Andererseits würde auch direkt ersichtlich, wenn Inhalte keinen Archivwert aufweisen und die frei werden Mittel können in weitere Produktionen investiert werden. Indem im Idealfall Mittel aus den Rundfunkbeiträgen mit einer monatlichen Gebühr kombiniert werden, entstünde ein Bündel an Inhalten, das deutlich unter „Wert“ angeboten werden kann, da es bereits zu einem großen Teil finanziert ist.

Auch der Shift von linear zu digital ließe sich über dieses Vorgehen schön managen, weil plötzlich die digitalen Bedürfnisse und digitale Nutzung mit Budgets hinterlegt sind und mit Nachdruck ein entsprechendes Programmvolumen einfordern. Plus ein zusätzlicher Invest in entsprechende digitale Programme führt zu einer Verschiebung in der Nutzung und refinanziert sich darüber.

Module und Verzeichnisse

Indem Zugänge und Infrastruktur modularisiert werden wird ein Wettbewerb auf diesen beiden Ebenen sichergestellt. Über ein einheitliches Inhalteverzeichnis wird gewährleistet, dass alle Zugänge die gleichen Bedingungen haben und Inhalte auf der inhaltlichen Ebene miteinander konkurrieren und nicht auf einer Featureebene. Über eine klar definierte Vergütungslogik wird die Attraktivität für Produzent*innen und Rechteinhaber*innen sichergestellt, die direkt am Wachstum des Deutschland Passes partizipieren. Größere Anbieter können ihr Portfolio und den Übergang von linear zu digital darüber elegant managen.

Mitmachen und das Themenfeld ausgestalten

All diese Punkte skizzieren den Umfang und mögliche Ansätze um alternative Geschäftsmodelle und Inhalteprofile aufzubauen. Im Moment ist es mehr eine Gewissheit, dass es alternative Ansätze gibt, denn ein Plan, wie diese Ansätze konkret aussehen und erfolgreich umgesetzt werden können. Im Workshop der Beyond Platforms Initiative am 1. und 2. August in Berlin wollen wir dieses Themenfeld und die darin enthaltenen Fragen und Komponenten adressieren und konkretisieren um daraus Lösungen zu entwickeln.

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